Johannes Gross

aus: „Notizbuch“ – Seite 22 (27. März 1981)

Woher kommt die Beliebtheit der Gesinnungskontrolle bei Deutschen (und Amerikanern)? Es gibt eine sich ausbreitende Gereiztheit, wenn eine Auffassung sich ausspricht, die nicht geteilt wird, bei im übrigen großer praktischer Toleranz – Leute verteilen keine Ohrfeigen, aber in ihrem Inneren sammelt sich das Ressentiment. Der Anteil der Blockwarte, der Spruchkammer-Vorsitzenden und die Bereitschaft, solche Ämter – auch in Geschäftsführung ohne Auftrag – zu übernehmen, scheint unerfreulich hoch. – Mir fällt die Bemerkung von H.L. Mencken ein, daß der Puritanismus die Furcht sei, es könne irgend jemand irgendwo doch glücklich sein. Die Lust an der Ausübung von Sozialkontrolle wird sich wohl aus Ähnlichem speisen wie die Befürchtung, daß es anderen besser gehe, daß sie sich und die Welt genießen und sich Freiheiten herausnehmen, die vielleicht allen zugänglich sind, die sie aber nicht zu nutzen wagen oder zu nutzen verstehen.

Schreibe einen Kommentar